30. Juli 2007

ZEIT gehabt

Deutschlandurlaub - Teil IV

Tag 3 (5) des Urlaubs. Angekommen? Na ja, die Kinder schlafen schon ein wenig länger. Um 10 nach 10 der unnütze Selbstvorwurf, schon wieder den Tag zu verplempern ... Zum Frühstück herrlich leckeren Wildlachs aus Irland (geräuchert, Bio), am Tag zuvor im Hofladen für 2 statt 4,99 EUR erstanden, mit Meerrettich verspeist. Dabei genüsslich auf dass für morgen geplante Rührei gefreut. Welch ein Genuss. Das Sonnensegel in die 3. Position gebracht, damit niemand über die Spannseile stolpert und eine optimale Schattenausbeute erzielt wird.
Eine Stunde später am See: Ein junges Paar liegt auf einer Decke von Tchibo. Dieselbe Decke habe ich auch. Beherrscht Tchibo unser Leben oder ist alles nur „Marke“? Sie haben sich den Tagesspiegel mitgebracht. Ich schiele nach dem Leittitel auf Seite 1. Kann ihn aber doch nicht lesen. Es ist so, wie, wenn ich nicht in Europa bin. Die deutsche Kleinstaaterei und Politik ist so was von weit weg. Gut so! Habe hier ja auch kein Radio und kein Fernsehen. Brauche auch keine Tageszeitung. Wenn ich keinen Urlaub habe, lese ich die ja schließlich auch nicht.
Endlich komme ich dazu, das ZEITmagazin Leben Nr. 29 (12. Juli 2007) zu lesen. „Habt Ihr denn gar nichts anzuziehen? Doch! Die Mode der deutschen“ steht auf der Titelseite. Und die Rückseite? Printwerbung von stilwerk ... Zu sehen sind, ein weißer Tisch, drei weiße Stühle, so kantig und klar in der Form, dass sie als ästhetisch schönes Design durchgehen können. So jedenfalls mein Empfinden. Im Hintergrund ist eine schwarze Küchenmöbelzeile zu sehen. Auf dem Tisch große weiße Teller auf der selbst die Reste der Soßen als ordentlich angeordnet bezeichnet werden können. Es sieht alles „nach einem spät gewordenen Abend“ aus. Selbst die Apfelschorle ist nicht Apfelsaftfarben, sondern Cognacfarben. Obwohl es eindeutig Apfelsaft ist. Eine Prosecco Flasche unterm, drei (!?) Drahtverschlüsse auf dem Tisch. Aber in den kantigen Weingläsern farblich eindeutig die Reste von rubinroten bis granatroten Wein. Fast kann ich „die ZEIT Genussedition Toskana von Seite 13. "Slowenische Eiche und französisches Barriques" Montepulciano von Seite 13 kann ich riechen. Eine nicht aufgegessene, mit der Gabel aufgespießte Entenbrust in Rotweinsoße liegt auf einem der Teller. Eine weiße Tulpe in einer runden schwarzen Vase mit geschlungenem Hals. Die übrigen 9 weißen Tulpen liegen hinten auf der schwarzen Küchenzeile. Fast versteckt, sehr unscheinbar zwei gelbe Dosen mit roten Tomaten drauf. In der Mitte ein Auberginenfarbenes Handy, aufklappbar, Motorola. In der Fußnote ist zu lesen: stilwerk – der „Markplatz“ für Einrichtung, Design und Lifestile in Hamburg, Berlin, Düsseldorf und Stuttgart. Mein Fazit: Die Küche, so wie sie den letzten Abend spät verlassen wurde, nach angeregten Diskussionen, ist genauso schön und kaufenswert, wie die Titelseite. Eben Marktwirtschaft. Schwarz Weiß, die edlen Farben der Deutschen, die aus reiner Dekadenz die taz nicht im Abo, sondern im Einzelkauf erwerben und Donnerstags noch die ZEIT dazu.
Nachsatz: Journalistisch schön geschriebene Artikel, voller Geist und Anstoß zum Nach-/denken. Ist auch alles irgendwie stilwerk. Oder nicht? Ins stilwerk gehen ist, wie gut Essen gehen, ist wie ZEIT lesen.
Nachtisch: Neue Deutsche Meister (Seite 15). Für Kleidung geben die Deutschen mehr aus als die Franzosen. Trotzdem gilt Deutschland noch als modisches Entwicklungsland [Tillmann Prüfer]. Ist es, weil die Franzosen dafür lieber Essen gehen und dafür auch mehr ausgeben? Was dem Deutschen sein abgepacktes Toastbrot für 99 Cent oder weniger, ist dem Franzosen sein Baguette für 2 EUR oder mehr. Die Mieten in Berlin niedriger als die in Paris sind? Gibt es in Deutschland eigentlich mehr H&M als anderswo? Bleibt die Frage, kaufen Deutsche mehr „Marke“ oder einfach nur mehr.

Keine Kommentare: