15. März 2008

sei Berlin

Ich bin tatsächlich Berlin. Denn, seit ich geboren bin, lebe ich hier, wohne und arbeite ich in Berlin. Ich bin auch erst zweimal umgezogen. Dafür werde ich von vielen belächelt. Nur zweimal und nie woanders hin. Brauchte ich nicht, wollte ich nicht, hat sich nicht ergeben und will ich eigentlich auch gar nicht. Bis auf eine Ausnahme. Der dritte Umzug sollte mich vor gut anderthalb Jahren nach Santiago de Chile führen. Auch eine Hauptstadt, noch viel größer und sehr ähnlich [Darum heißt mein blog auch so, den ich seit einem Jahr schreibe].

Aber warum mag ich Berlin und warum stelle ich es mir so schwer vor, in eine andere Stadt zu gehen?

Berlin hat schlecht spielende Musiker in der U-Bahn. Konkurrierende Straßenzeitungsverkäufer, mit individuellem Schicksal, die sich keiner so recht vorstellen kann. Berliner, die im KaDeWe shoppen und in der 6. Etage Champagner trinken oder Austern schlürfen. Viele schlecht und geschmacklos angezogene Leute auf der Strasse.
Viel zu viele Hunde und stinkende Hundehaufen. Dreckige Straßen und Bahnhöfe. Mit Kaugummi voll geklebte Plätze. Kaum einen Fußweg ohne „Gehwegschäden“. Aggressive und betrunkene Penner auf dem Alexanderplatz.
Westberliner, die niemals in den Ostteil der Stadt fahren und sich in Berlin-Mitte verlaufen würden. Die Szenestadtbezirke Mitte, Prenzlauer Berg, Friedrichshain und Kreuzberg. Einmalige echte multikulti Wohnviertel und Migrationsprobleme in einzelnen Kiezen. Hellersdorf und Zehlendorf, die gegensätzlicher nicht sein könnten und in denen ich so gut wie nie bin.

Es gibt sehr viele Theater und Bühnen, große und kleine. Unendlich viel Kultur. Das Kulturkaufhaus und das Tacheles. Wir haben die Berlinale. Wir können Radio Eins hören. Graffitis (obwohl ich das Gefühl habe, es werden weniger) und die lange Nacht der Museen. Den Tierpark und den Zoo.
Die Geschichte einer geteilten Stadt, in der es heute schwierig ist, Spuren der Teilung zu finden. Eine Stadt voller Geschichte, mit dem Scheunenviertel, dem Gendarmenplatz und der Synagoge in der Oranienburger Straße.

Jetzt haben wir Berliner gerade selbst festgestellt, dass wir eigentlich gar keine U-Bahn, Busse und Tram brauchen. Mit der S-Bahn und auf Fahrrädern kommen wir auch fast überall hin. Es waren 13 Tage Streik bei der BVG, die die Berliner plötzlich langsamer werden ließen. Ansonsten laufen wir auf Rolltreppen links und nur wer Zeit hat steht rechts. Wir haben einen Dialekt, mit großer Klappe und Busfahrer auf der Linie 100, die kein englisch sprechen. In der S-Bahn wird in englisch angesagt, wenn man in die Circleline umsteigen kann. Wir trinken Café au lait oder „to go“.

Wir haben einen homosexuellen Bürgermeister und das ist auch gut so. Wir sind arm aber sexy. Machen andauernd Partys.
Der lebendigste Ort der Stadt ist für mich Freitags und Samstags die Kreuzung Schönhauser Allee Ecke Eberswalder Straße. Die lebendigste Tramlinie ist die M10, die auch meine Lieblingsstrecke ist. Es gibt unendlich viele Straßenkaffees, Biergärten und ein Dutzend Strandbars an der Spree, wenn die Sonne scheint. Ein Badeschiff und im Winter so gut wie keinen Schnee. Berlin hat Dinge, die sonst in der Art keiner hat. Den Fernsehturm, das (Ost-)Ampelmännchen. Probleme mit der Stadtarchitektur und kein Stadtschloss. Der Palast der Republik hätte stehen bleiben sollen. Und bald haben wir keinen Stadtflughafen Tempelhof mehr. Dafür bald eine Kanzler(innen)-U-Bahn U55, die wir nicht brauchen, mit der aber die Touristen fahren können. In jedem Stadtbezirk haben wir mindestens ein großes Einkaufscenter für „noch mehr schöneres Schoppingerlebnis“. Und wir haben eine Umweltzone. Unendlich viele Frisörgeschäfte.

Die Welt mag uns. Das hören wir zumindest, wenn Schauspieler, Regisseure und Künstler nach Berlin kommen. Zum ersten mal, zum zweiten mal … sie kommen alle immer wieder. Und Sie mögen uns. Jetzt haben wir eine neue Hauptstadtkampagne mit dem Slogan „be Berlin“, der viel Geld gekostet haben soll und den wir jetzt doof finden. Ich denke, da hätte es irgendeinen Slogan geben können. Wir hätten ihn trotzdem doof gefunden. Ja, so sind wir Berliner. Eben einzigartig und liebenswert.

Keine Kommentare: